Die zwei Homer zugeschriebenen Versepen „Ilias“ und „Odyssee“, die den trojanischen Krieg einerseits und die Irrfahrten des späteren Königs von Ithaka (Griechenland) Odysseus andererseits beschreiben, gehören sowohl zu den ältesten als auch zu den berühmtesten und prägendsten fiktionalen Werken der europäischen Literatur.

Die Tragödie „Die Troerinnen“ von Euripides aus dem Jahr 415 v. Chr. spielt genau zwischen diesen beiden Epen: der trojanische Krieg ist gerade erst vorbei, die Stadt wurde erobert und alle männlichen* Einwohner Trojas wurden getötet. Bevor die siegreichen Griechen in ihre Heimat zurückkehren, muss jedoch noch geklärt werden, was mit den überlebenden Frauen* Trojas und der Stadt selbst geschieht. Diese Frage wird sowohl aus der Perspektive der Angehörigen der Herrscher*innenfamilie als auch der „einfachen“ Frauen* Trojas verhandelt. Dabei wird auch auf die in der griechischen Götterwelt angesiedelte mythologische Vorgeschichte des trojanischen Krieges eingegangen.

Auch wenn bisher nicht abschließend geklärt werden konnte, ob der trojanische Krieg überhaupt stattgefunden hat, bildete ein weiterer Krieg den Anlass für Jean-Paul Sartre (1905-1980) sich des antiken Stoffes anzunehmen: der algerische Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht Frankreich (1954-62). Ausgehend von diesem Konflikt, der stellvertretend für viele Kriege zwischen dem alten Europa und seinen Kolonien steht, hat Sartre das Drama von Euripides neu bearbeitet und in seinen Aussagen verschärft. Mord, Versklavung, Vergewaltigung und andere Menschenrechtsverletzungen bilden die Brücke zwischen dem antiken Griechenland und den europäischen Kolonialmächten und stellen die Grundsatzfrage nach dem Wert des „westlichen Humanismus“ im Angesicht von Krieg und Eigeninteressen.