Presseinformation 013/2016

Graffiti digital

„Informationssystem Graffiti in Deutschland“ – InGriD – erfasst mehr als 120.000 Fotos für wissenschaftliche Untersuchungen. DFG fördert das Projekt mit 850.000 Euro
Writings bzw. Styles sind aufwändiger gesprühte, mehrfarbige bildhafte Graffiti, die oft weitere Stilmittel aufweisen. (Ausführliche Bildbeschreibung s. Seite 2; Foto: Universität Paderborn)
Writings bzw. Styles sind aufwändiger gesprühte, mehrfarbige bildhafte Graffiti, die oft weitere Stilmittel aufweisen. (Ausführliche Bildbeschreibung s. Haupttext; Foto: Universität Paderborn)

Graffitis sind allgegenwärtig: Die kunstvoll verschlungenen Buchstaben-Signaturen finden sich in Unterführungen, an Hausmauern und auf Zügen. Die Tags und Styles jugendlicher Sprayer sind für die einen ärgerliche Sachbeschädigung, für andere Ausdruck von Kreativität, die Farbe ins städtische Grau bringt. Wissenschaftler des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Universität Paderborn bauen gemeinsam das „Informationssystem Graffiti in Deutschland“ – InGriD – auf. Es ermöglicht die interdisziplinäre Erforschung des jugendkulturellen Phänomens.

 

„Graffitis sind für viele wissenschaftliche Disziplinen ein hochinteressantes Forschungsfeld“, sagt Professor Martin Papenbrock. Der Kunsthistoriker am Institut für Kunst- und Baugeschichte des KIT erfasst gemeinsam mit der Sprachwissenschaftlerin Professor Doris Tophinke von der Universität Paderborn 120.000 Fotografien von Graffitis. Ziel des umfangreichen Digitalisierungsprojekts ist es, das Bildmaterial systematisch zu erschließen und für die wissenschaftliche Forschung zugänglich und auswertbar zu machen. Bei den mit Farbe aus Spraydosen, mit Farbstiften und -rollen auf Mauern oder Brückenpfeiler aufgebrachten Graffitis handelt es sich um figürliche Darstellungen, vielfach aber auch um Wörter und Namen, die verfremdet und in ihrer Bildlichkeit ausgestaltet werden. Dies macht sie gleichermaßen für schrift- wie für bildbezogene Forschungen interessant.

 

Writings bzw. Styles sind aufwendiger gesprühte, mehrfarbige bildhafte Graffiti, die im Vergleich zum Throw-Up oft weitere Stilmittel wie einen farbigen Hintergrund (Background), Binnenkonturen (Inlines), Bewegungslinien (Speedlines), Lichtreflexpunkte (Highlights), Sterne (Stars), Pfeile (Arrows) oder Blasen (Bubbles) aufweisen. (Foto: Universität Paderborn)

 

Ein Throw-Up ist ein einfaches, schnell produziertes, zweifarbiges bildhaftes Graffiti, bestehend aus Konturen (Outlines) und Füllungen (Fill-Ins). Es wird auch als „Quickpiece“ (oder abgekürzt als „Quickie“) bezeichnet. Wenn die Füllung in silberner Farbe gesprüht ist, spricht man von einem „Silverpiece“ (Abk. „Silver“) oder einem „Chrome“. (Foto: Universität Paderborn)

 

Tags sind die linearen Signaturen der Sprüher. Sie werden mit der Sprühdose oder mit dem Farbstift angebracht. Sie können isoliert oder als Signatur zu einem größeren, bildhaften Graffiti (Writing/Style) auftreten. Kommentare (Comments) sind oft im Tag-Style gestaltet. (Foto: Universität Paderborn)

 

Für das „Informationssystem Graffiti in Deutschland“ werden die größtenteils aus Beständen öffentlicher Archive oder Einrichtungen stammenden Fotos unter anderem nach sprach- und bildbezogenen Kategorien mit genauen Angaben versehen. So können sie in der Datenbank nach Ort und Zeitpunkt der Aufnahme sowie nach Kriterien wie Farbe und Technik oder nach ihrem Trägermedium – zum Beispiel eine Lärmschutzwand oder ein Stromkasten – gefunden werden. „Damit wird es erstmals möglich, das Phänomen Graffiti auf der Basis großer Datenmengen zu untersuchen“, so Papenbrock. Die Fotografien aus den Jahren 1983 bis 2015 stammen aus Mannheim, Köln und München. Geplant ist, die Dokumentation räumlich und zeitlich auszubauen. „Mannheim ist ein besonders schönes Beispiel, weil sich dort an Bildern seit den 1990er Jahren eine Entwicklung über 15 bis 20 Jahre hinweg verfolgen lässt“, so der Kunsthistoriker. So sei unter anderem zu erkennen, wie lange einzelne der zumeist jugendlichen Akteure aktiv sind oder wie sich Graffitis im städtischen Raum ausbreiten. Deshalb ist das „Informationssystem Graffiti in Deutschland“ nicht nur für Kunst- und Sprachwissenschaft interessant, sondern auch eine aufschlussreiche Quelle für Ethnologie und Soziologie, Kultur- und Medienwissenschaften. „Graffitis zeigen, wo sich Aktionsorte von Jugendlichen befinden und geben Planern von Stadtquartieren wichtige Hinweise auf urbane Konfliktzonen“, so Papenbrock.

 

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft fördert das auf sechs Jahre angelegte Projekt ab April 2016 für die ersten drei Jahre mit insgesamt 850.000 Euro, die jeweils zur Hälfte den beiden Hochschulen zufließen. InGriD wird mit technischer Unterstützung des Zentrums für Informations- und Medientechnologien (IMT) der Universität Paderborn und der Universitätsbibliothek Paderborn erstellt. Am KIT und an der Universität Paderborn sind jeweils drei Doktoranden in den Aufbau von InGriD eingebunden.

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

afr, 29.01.2016
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