Presseinformation 154/2011

Der Knick im Knie

KASCADE-Grande Experiment am KIT entschlüsselt ein Rätsel der kosmischen Strahlung
Kosmische Strahlung, massive Teilchen aus dem Universum, lösen in der Erdat-mosphäre Schauer von Teilchen aus, die am Erdboden mit dem Experiment KASCADE-Grande nachgewiesen werden. (Grafik: Tim Otto Roth und KIT)
Kosmische Strahlung, massive Teilchen aus dem Universum, lösen in der Erdatmosphäre Schauer von Teilchen aus, die am Erdboden mit dem Experiment KASCADE-Grande nachgewiesen werden. (Grafik: Tim Otto Roth und KIT)

Schon seit Jahren beschäftigen sich Astroteilchenphysiker mit der Frage, wie das „Knie“, ein Knick im Energiespektrum der kosmischen Strahlung, zustande kommt. Für leichte Elemente wie Wasserstoff lieferte das Experiment KASCADE auf dem Gelände des Karlsruher Instituts für Technologie wichtige Hinweise. Mit der Erweiterung zu KASCADE-Grande konnten die Wissenschaftler nun Teilchen mit zehnmal höherer Energie und damit das komplette Knie vermessen: Das Knie setzt sich aus mehreren Knicks zusammen, mit höherer Energie verschwinden immer schwerere Elemente aus dem Spektrum der kosmischen Strahlung. Die Ergebnisse wurden soeben in der Zeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

KASCADE-Grande ist ein Messfeld für kosmische Strahlung auf dem Gelände des Campus Nord des Karlsruher Instituts für Technologie. Auf einer Fläche von 700  mal 700 Quadratmetern stehen 37 Detektorstationen. Außerdem wurde das frühere KASCADE Experiment integriert. „KASCADE-Grande erweitert den Messbereich des KASCADE Experiments um einen Faktor 10“, stellt Dr. Andreas Haungs fest, der das KASCADE-Grande Projekt im KIT leitet. „Wir können nun Teilchenschauer messen, die von kosmischen Teilchen mit Energien bis 1018 Elektronenvolt erzeugt wurden.“ 1018 Elektronenvolt: das liegt um Faktor Hundert über den Energien, die die zurzeit größten Teilchenbeschleuniger auf der Erde erreichen.

 

Das "Knie" der kosmischen Strahlung, ein Knick im Energiespektrum, tritt für leichte und schwere Teilchen bei unterschiedlichen Energien auf. (Grafik: KIT)

Das "Knie" der kosmischen Strahlung, ein Knick im Energiespektrum, tritt für leichte und schwere Teilchen bei unterschiedlichen Energien auf. (Grafik: KIT)



Die Teilchenschauer entstehen dadurch, dass die primären Teilchen der kosmischen Strahlung auf die Atome der Erdatmosphäre auftreffen und aufgrund ihrer hohen Energie Sekundärteilchen erzeugen, die wiederum Teilchen erzeugen, die wiederum Teilchen erzeugen, usw. Dieser Schauer, diese Kaskade von Teilchen, trifft nach einigen Millisekunden auf den Erdboden auf und kann dort gemessen werden. „Die Primärteilchen, massive Atomkerne, die sehr unterschiedliche Energien haben, können aufgrund ihres geringen Flusses nicht direkt mit Ballon- oder Satellitenexperimenten gemessen werden“, erläutert Andreas Haungs. „Bei nur einem Teilchen pro Quadratmeter und Tag sind wir auf Beobachtungen am Boden angewiesen.“ Dabei können nicht nur die Energie und die Richtung des Primärteilchens bestimmt werden, sondern auch seine Masse.

Der Fluss der kosmischen Strahlung, also der Primärteilchen, die wohl überall im Universum zu finden sind, nimmt mit zunehmender Energie der Teilchen stark ab. Etwas oberhalb einer Energie von 1015 Elektronenvolt ändert sich die „Steilheit“ der Energieabnahme: Dadurch entsteht ein Knick im Spektrum, das „Knie“ der kosmischen Strahlung. Schon mit dem Experiment KASCADE wurde gezeigt, dass die kosmische Strahlung im Energiebereich bis 1017 Elektronenvolt nicht aus Photonen, sondern aus massiven Teilchen, Atomkernen, besteht. Die Teilchen fallen aus allen Richtungen gleich häufig ein – die Strahlung ist isotrop. Außerdem gab es Hinweise, dass der erste Bereich des „Knies“ durch das Wegfallen leichter Primärteilchen entsteht und sich mit der Masse der Primärteilchen zu höheren Energien verschiebt. Dies konnte nun durch die Erweiterung des Energiebereichs mit KASCADE-Grande vermessen werden: Der Knick für Eisenkerne liegt bei knapp 1017 Elektronenvolt.

„Aus den Ergebnissen von KASCADE-Grande können wir schließen, dass die primären Partikel der kosmischen Strahlung nur bis zu Energien um 1017 Elektronenvolt in unserer Milchstraße erzeugt und  gespeichert werden können“, fasst Andreas Haungs die Auswirkungen auf unser astronomisches Weltbild zusammen. „Teilchen mit noch höherer Energie haben demnach ihren Ursprung außerhalb der Milchstraße.“ Diese noch energiereicheren Teilchen der kosmischen Strahlung werden vom Pierre Auger Observatorium in Argentinien vermessen, an dessen Aufbau und wissenschaftlicher Auswertung das KIT ebenfalls beteiligt ist.

Das KASCADE-Grande Projekt wird durch eine internationale Kollaboration mit Wissenschaftlern des KIT, sowie der Universitäten Michoacana (Mexiko), Turin (Italien), Lodz (Polen), Bukarest (Rumänien), Siegen und Wuppertal (Deutschland), Sao Paulo (Brasilien) und Nijmegen (Niederlande) betrieben. Nach 5 Jahren Messzeit seit der Erweiterung von KASCADE, sowie weiteren 3 Jahren Betrieb als Testeinrichtung für neuartige Detektoren wird KASCADE-Grande Ende dieses Jahres endgültig abgeschaltet.

Die ersten Analyseergebnisse des reichhaltigen Datensatzes wurden soeben von der wissenschaftlichen Zeitschrift „Physical Review Letters“ online publiziert und erscheinen heute auch in der gedruckten Ausgabe:
"Kneelike structure in the spectrum of the heavy component of cosmic rays observed with KASCADE-Grande", Physical Review Letters (Vol. 107, No. 17):
URL: http://link.aps.org/doi/10.1103/PhysRevLett.107.171104
DOI: 10.1103/PhysRevLett.107.171104

 

Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 10 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 800 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.

jh, 21.10.2011
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