Videoportrait Prof. Holger Puchta
Professor Holger Puchta ändert die Gene von Pflanzen, als ob sie Legosteine wären. Als weltweit anerkannter Pionier der Gentechnik trägt der Leiter des Joseph Gottlieb Kölreuter Instituts für Pflanzenwissenschaften am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) mit seiner Arbeit dazu bei, zukünftig Früchte schmackhafter zu machen und Getreideernten zu sichern. Was treibt ihn an – und was stoppt ihn?
Puchta: (Lacht) Warum Herr Gott?
Das ist ein falsches Grundverständnis von dem, was in der Natur passiert. Die Öffentlichkeit hat oft das Gefühl, dass Genetik absolut statisch ist. Aber seit Darwin und der Evolutionstheorie wissen wir: Nur durch Mutation und Selektion kann Neues und Besseres entstehen. Das genetische Material verändert sich also von Natur aus. Mit der molekularen Schere CRISPR/Cas können wir gewisse Vorgänge gerichteter machen und beschleunigen, aber immer im Rahmen der vorhandenen Biologie. Deswegen fühle ich mich natürlich nicht als Gott!
Hier hilft ein Beispiel: Wir müssen den Pestizidverbrauch in der Landwirtschaft dringend reduzieren. Dazu brauchen wir Pflanzen, die resistent gegen Pathogene wie Mehltau sind. Gewisse Getreide sind das von Natur aus. Man könnte also nachforschen, wo diese Mehltauresistenz in ihrem Genom liegt und mit der molekularen Schere das Wissen auf andere Getreidearten anwenden – und so mehltauresistenten Weizen erzeugen. Wir machen also neue Dinge, aber ähnliche Veränderungen hat man in der Natur schon gesehen. So kann man die Welt auch konkret „verbessern“.
Gentechnik-Pionier Holger Puchta und seine Forschung im Portal "Expertinnen und Experten des KIT".
Zum ExpertenportaitDiese Situation tritt in der Wissenschaft sehr häufig auf. Ich war vor 30 Jahren der Erste, der angefangen hat, in Pflanzen weltweit mit molekularen Scheren zu arbeiten. Keiner konnte sich vorstellen, dass wir inzwischen fast alle Organismen dieser Erde an fast allen Stellen in ihren Genomen verändern können. Das war damals natürlich völlig irre.
Man muss zwischen Ethik und Fakten unterscheiden. In meinem naturwissenschaftlichen Weltbild, das auf Fakten und Experimenten beruht, kann ich eindeutig beantworten, ob eine Technologie gefährlich ist. Die Genschere ist es nicht: Sie ist sicherer als die klassische Mutagenese, die momentan in der Landwirtschaft angewandt wird. Wir sind inzwischen in der Lage, mit moderner Technik das Genom zu analysieren und nachzuprüfen, was wir verändern. Wir können mit CRISPR/Cas einen einzelnen ausgewählten Bruch indizieren.
Zum Vergleich: Die radioaktive Bestrahlung von Pflanzen, die seit 70 Jahren durchgeführt wird, um zum Beispiel kurzhalmige Getreide für Pasta oder Bier herzustellen, induziert 10 000 unkontrollierte Mutationen in einer Pflanze. Daher kann ich die Ergebnisse unserer Arbeit durchaus verantworten, man muss aber auch sagen, wo die Grenzen sind.
Im Podcast "Nachgefragt" spricht die Biologin Michelle Rönspies über die aktuelle Genforschung.
Jetzt AnhörenFür mich ist eine Grenze der Eingriff in die menschliche Keimbahn.
(Lautes Lachen) Es ist sehr viel einfacher, mit Pflanzen zu experimentieren als mit Tieren. Ich habe und sehe keine moralischen Probleme darin, mit Pflanzen zu arbeiten. Ich mache diese Experimente, weil ich keine unkalkulierbaren Risiken sehe und die Vorteile gegenüber möglichen Nachteilen überwiegen.
Wir wissen alle: Jede Technik hat Risiken. Aber die Lösung ist nicht, auf diese Techniken zu verzichten, wenn wir mit ihr wesentliche Probleme der Menschheit lösen können. Und darum geht es bei der momentanen Diskussion um die molekulare Schere. Wir können den Pestizidverbrauch reduzieren und Pflanzen gegen Hitze und Salzstress resistenter machen. Das führt dazu, dass wir weniger Dünger, Land und Wasser brauchen. Warum sollen wir das nicht tun, wenn wir eine Technik haben, die nach wissenschaftlichem Ermessen vollkommen sicher ist und die weltweit angewandt wird – nur in Europa nicht?
Nein. Die Idee von Monsanto hat primär nichts mit Gentechnik zu tun. Solche rücksichtslosen Praktiken gab es schon früher. Mit der Hybridtechnologie hat man schon lange vor der Gentechnologie zwei Sorten gekreuzt, um im ersten Schritt einen größeren Ertrag zu erzielen. Aber wenn man nicht weiß, was in der Landwirtschaft passiert, hat man den Eindruck, dass alle bösen Dinge mit der Gentechnik in die Welt gekommen sind. Das ist vollkommen falsch.
Die Ausgabe 2/2023 des Forschungsmagazins lookKIT dreht sich rund um das Thema Verantwortung in Forschung und Innovation.
Zum MagazinAuch da fühle ich mich nicht als Jesus...
…der alleine die Dinge verändern könnte. Ich sehe meine moralische Verpflichtung neben der konkreten Arbeit im Labor in der Diskussion mit der Öffentlichkeit, um diese Techniken für eine nachhaltigere Landwirtschaft zu ermöglichen. Ich bin überzeugt davon, dass Kommunikation zu den Kernaufgaben der Wissenschaft gehört. Denn wir als Forschende sind diejenigen, die diese Techniken entwickeln, am besten verstehen und erklären können.
Es ist ja in Ordnung gegenüber dieser Technologie kritisch eingestellt zu sein. Das Wichtige für uns ist, zu diskutieren und zu versuchen, die Öffentlichkeit zu überzeugen. Und es scheint ein Umdenken zu geben. Früher war die Ablehnung noch größer.
Ich kann nie ausschließen, dass durch zufällige Mutationen draußen im Feld etwas entsteht, was in Wechselwirkung mit einer zweiten Mutation irgendwelche Effekte hervorruft. Aber aus hundert Jahren Sortenzüchtung wissen wir, dass noch nie ein Monster aus einer Pflanze entstanden ist. Sollte etwas Merkwürdiges passieren, gehen die Pflanzen meistens ein. Ich kann im Labor im Vorfeld auch die gesamte Genomsequenz kontrollieren und eine Pflanze mit einer zusätzlichen unerwünschten Genänderung wegschmeißen. Diese Kontrolle haben wir.
Das stimmt. Aber ich habe mit der deutschen Akademie Leopoldina Empfehlungen für die Politik formuliert, welche Regeln man für die Anwendung der Genschere erlassen sollte. Ob die Politikerinnen und Politiker darauf hören oder nicht, ist eine andere Geschichte. Wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können und sollten unseren Mund aufmachen, wenn es notwendig ist, Stellungnahmen für Technologien abzugeben, aber auch wenn es notwendig ist, unsere Sorgen zum Ausdruck zu bringen.
Isabelle Hartmann, 19.07.2023