Es werde Licht: Solarstrom auf knapp 5.000 Metern Höhe

Eine Wissenschaftlerin des KIT untersucht Energiesysteme in Peru.

Sprachlos vor Staunen steht die alte Frau in ihrem kleinen Haus in den Anden: Zum ersten Mal leuchtet hier eine Glühbirne! Nur zu gern würde die Karlsruher Wissenschaftlerin Alena Fernandes de Freitas sie jetzt befragen, aber die Anden-Bewohnerin spricht nur Quechua. Ihr Haus steht auf über 4 789 Metern Höhe im Gebirge von Puno in Peru. Die Landschaft ist rau, karg, trocken und vor allem äußerst unwegsam. Der nächste Nachbar lebt hier im Hochgebirge eine Stunde Fußmarsch entfernt. In den beiden kleinen Häusern mit groben Steinwänden und Strohdach wohnen vier Personen: Eine Mutter mit Kleinkind und ihre Eltern; ohne Heizung und Warmwasser. Ihre Hauptenergiequelle ist das Feuer, angeheizt mit Holz oder getrocknetem Dung. Zum Beleuchten nutzen sie Kerzen oder Paraffinlampen, die sie nur kurz anzünden, weil es teuer ist. Und nun: Eine Glühbirne, deren Licht fast nichts kostet.

Ein Globus, dem zwei Doktorhüte augesetzt wurden. modus: medien + kommunikation gmbh
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Alpakas und Schafe vor einsamen Häuschen

Ein Auto fährt auf einer unbefestigten Straße an einem steilen Abhang entlang.Alena Fernandes de Freitas
Zwei Personen laufen auf ein Haus in den Bergen zu, dessen Dächer hinter einer halbhohen Steinmauer zu sehen sind. Alena Fernandes de Freitas
Häuser, die mit dem Auto nicht mehr zu erreichen sind, besucht de Freitas zu Fuß.

„Der Staat weiß, dass es etwa 400 000 Haushalte gibt, die noch keinen Strom haben. Welche das sind und wo die sich befinden, ist nicht erfasst“, sagt de Freitas. Die ländliche Elektrifizierung durch Solar Home Systems ist eines der drei Projekte mit erneuerbaren Energien in Peru, die sie für ihre Doktorarbeit analysiert. Es ist ein staatliches Programm, das der ländlichen Bevölkerung im ganzen Land Energieressourcen zur Verfügung stellen will. Für de Freitas ist das die dritte und schwierigste Feldforschungsphase: „Es gibt keine Adressen, kein Google Maps und auch keine Straßen, die zu den Siedlungen führen“, erzählt sie.

Um dennoch in die schwer zugänglichen Gebiete zu gelangen, hat die sie Kontakt zum Unternehmen TozziGreen hergestellt, das in den letzten drei Jahren über 200 000 Solar Home Systems in Peru aufgebaut hat. Mit den Ingenieurinnen und Ingenieuren fährt sie im geländetauglichen Jeep oft stundenlang auf unbefestigten Straßen, teils dicht an Abgründen, wo hin und wieder abgerutschte und abgestürzte Autos zu sehen sind. Oft geht es auch querfeldein. Das letzte Wegstück wandert die Forscherin nicht selten eine Stunde zu Fuß. Kaum vorstellbar, dass dort Menschen wohnen. Aber dann, ganz plötzlich, wie aus dem Nichts, tauchen einzelne Häuschen auf, Alpakas und Schafe weiden zwischen Steinmauern.

 

Science-Fiction bei den Quechua?

Vor einem Haus bauen Ingenieure ein Solarpanel auf, um für Elektrizität zu sorgen. Alena Fernandes de Freitas
Die Solar Home Systems bringen auch in entlegene Andenregionen Strom. De Freitas (rechts) beobachtet den Aufbau.

Inzwischen steht neben jedem Haus eine lange Stange mit einem Solarpanel – es wirkt ein bisschen wie Science-Fiction in den urwüchsigen Siedlungen der Quechua. De Freitas muss sich tief bücken, wenn sie durch die niedrigen Türen zu den Menschen ins Haus geht: „Viele sind sich nicht sicher, ob sie diese Art von neuer Energie überhaupt wollen“, erzählt sie: „Wärme ist noch wichtiger als Licht, denn in den Anden ist das Klima extrem, die Alpakas und Schafe erfrieren oft im Winter, wenn die Temperaturen wochenlang unter null Grad sinken. Allerdings müssen die Menschen jetzt nicht mehr fünf Stunden ins nächste Dorf gehen, um ihre Handys aufzuladen.“

In einigen Dörfern ist der Unmut der Bevölkerung deutlich zu spüren, viele fühlen sich mit dieser begrenzten Technologie abgespeist. Auch in der Provinz Cajamarca, im Norden Perus an der Grenze zu Ecuador, hat Alena Fernandes de Freitas Interviews geführt. Die Menschen dort leben von kleinbäuerlicher Landwirtschaft, sie kultivieren Kaffee oder Bananen. Auch hier war sie mehrere Tage in Bussen unterwegs und wurde immer wieder woanders hingeschickt: „Es ist eine Herausforderung, in kurzer Zeit Kontakte aufzubauen und an wichtige Informationen zu kommen. Dafür muss man oft Umwege in Kauf nehmen und flexibel reagieren. Das ist von Deutschland aus kaum planbar.” Diese Erfahrung hat de Freitas bereits während ihrer Masterarbeit in Lima gemacht.

 

Feldforschungen in der Megacity Lima

Das Textilcluster, welches de Freitas in diesem Rahmen analysiert hat, ist ein abgegrenztes Stadtviertel, in dem ein Hochhaus neben dem anderen steht. Rund 20 000 Kleinunternehmen nähen und verkaufen hier auf engstem Raum mit unzähligen Angestellten in informellen Beschäftigungsverhältnissen, das heißt ohne Vertrag oder Absicherung. Hier ist die Wissenschaftlerin tagelang mit dem Mikrofon herumgezogen, um die Menschen vor Ort zu befragen: „Es war nicht leicht, deren Vertrauen zu gewinnen, denn durch die Informalität und den starken Wettbewerb herrscht dort großes Misstrauen. Außerdem arbeiten die Leute oft an sechs oder sieben Tagen pro Woche jeweils zwölf Stunden. Da trifft man sich nicht mal eben im Café für ein Interview. Und während der Arbeit ist es sehr laut und chaotisch. Ich habe sehr viel experimentiert und improvisiert.“

Viele Interviews haben sich aus Bekanntschaften ergeben: Nach dem Abitur wollte de Freitas ihr Spanisch mit einem Auslandsaufenthalt verbessern. Bei einem internationalen Treffen von Schülerinnen und Schülern schloss sie Freundschaft mit Silvia aus Lima, die ihr half, für ein Dreivierteljahr eine Gastfamilie in der peruanischen Hauptstadt zu finden und sie in die Geheimnisse und Gefahren der Megacity einweihte: „Sie hat mich bestimmt fünfmal von der Straße gezogen. Der Verkehr ist wirklich wild, und es ist eine echte Herausforderung, dort mit dem Bus zu fahren. Nicht selten steckt man bis zu drei Stunden im Straßenverkehr fest. Die Stadt ist von großen Kontrasten geprägt. Man muss dort gelebt haben, um Feldforschung sinnvoll durchführen zu können.“

 

Das Bild ist auf ein unfertiges Hochhaus fokussiert. Im Hintergrund ist ein dicht bebauter Hügel zu erkennen.Alena Fernandes de Freitas

Megacity auf der anderen Seite der Welt: In der Metropolregion Lima leben über 10 Millionen Menschen.

Blick von oben auf eine Straßenkreuzung: Autos dicht an dicht, auf den Gehwegen sind Marktstände aneinandergereiht.Alena Fernandes de Freitas

In einem abgegrenzten Stadtviertel führte de Freitas Untersuchungen im Rahmen ihrer Masterarbeit durch.

Fußgängerzone in Lima: Viele Menschen schieben sich durch das Gedränge.Alena Fernandes de Freitas

„Man muss dort gelebt haben, um Feldforschung sinnvoll durchführen zu können“, erzählt de Freitas über dir Arbeit in Lima.

Alternative Energiesysteme als Chance

Alena Fernandes de Freitas steht mit Mütze und warmer Kleidung am Abhang eines Berges. Im Hintergrund tut sich ein tiefes Tal auf. Alena Fernandes de Freitas
Feldforschung vor herrlichem Bergpanorama: Für Alena Fernandes de Freitas geht es in Peru hoch hinaus.
Ein Dorf mit strohgedeckten Hütten steht an einem Gewässer. Neben jeder Hütte ist eine Solarzelle. Alena Fernandes de Freitas
Nicht mit den hießigen Energieystemen vergleichen: de Freitas sagt, die direkte Nutzung erneuerbarer Energien sei eine große Chance für Peru.

Durch den direkten Kontakt zu Einheimischen hat de Freitas ein gutes Gespür für die peruanische Kultur bekommen. Die Feldforschungsphasen von Deutschland aus zu planen, sei allerdings nicht ganz einfach: „Ich kann keine Termine lange im Voraus vereinbaren, so ticken die Menschen dort nicht. Deswegen muss ich auch vor Ort sehr flexibel sein. Manchmal rufe ich an, und dann heißt es: ‚Komm in einer Stunde vorbei!‘“

Etwas ganz Besonderes ist die lokale Produktion von Solar Water Heaters. In Arequipa, der zweitgrößten Stadt Perus, bauen und verkaufen 40 Kleinunternehmen diese Warmwasser-Thermen: „Das ist ein Bottom-up-Prozess, der losgelöst von zentraler Hierarchie läuft, nur über den Markt, weil es ökonomisch rentabel ist. Es schafft Arbeitsplätze. Trotzdem wird das von staatlicher Seite ignoriert und von der internationalen Entwicklungszusammenarbeit durch die Förderung importierter Technologie gefährdet“, erklärt de Freitas.
Die Technologie kommt ohne Strom aus; die Sonne wärmt Kupferrohre unter einer schwarzen Oberfläche. Durch diese Rohre fließt das Wasser und wird erhitzt. Entscheidungsprozesse um Großwasserkraftwerke sind ein weiteres Themenfeld des peruanischen Energiesystems, zu dem die Wissenschaftlerin Interviews mit Expertinnen und Experten für ihre Doktorarbeit am Institut für Regionalwissenschaften des KIT geführt hat.

Der Fokus bei allen Untersuchungen liegt auf den Wechselwirkungen zwischen Technologie und Gesellschaft. Alena Fernandes de Freitas findet es wichtig, die Energiesysteme in Peru nicht mit unseren zu vergleichen: „Man muss davon wegkommen, Normen und Ideale aus dem Globalen Norden zu übertragen und Abweichungen davon als Defizit zu interpretieren. Was in unseren Augen wie ein Mangel aussieht, ist für das Land eine Chance: Während wir in Europa die älteren fossilen Systeme durch neue ersetzen, kann man in Peru vielerorts direkt auf erneuerbare Energien setzen. Letztendlich ist es eine Riesenchance: Das hat aber weitreichende gesellschaftliche Folgen, die unbedingt berücksichtigt werden müssen.“

 

Almut Ochsmann, 17. November 2022