Nervenzellen modulieren Wachstum von Blutgefäßen

Erst ausgebremst, dann losgelassen: Nervenzellen bestimmen durch feine Modulation von Signalmolekülen das Ausmaß ihres Blutgefäßnetzwerks dynamisch selbst
Hochgradig verzweigtes Netz aus Blutgefäßen (weiß) um das Rückenmark eines Zebrafischembryos (rot umrandet). (Bild: le Noble / KIT)

Ein Wissenschaftlerteam des KIT rüttelt an einem Dogma der Zellbiologie. Mit detaillierten Versuchsreihen wiesen sie nach, wie Nervenzellen das Wachstum von Blutgefäßen modulieren – und nicht, wie bisher angenommen, über einen Kontrollmechanismus der Gefäßzellen untereinander. Die Ergebnisse sind wegweisend für die Erforschung und Behandlung von Gefäß- und Tumorerkrankungen als auch für neurodegenerative Erkrankungen. Die Studie der Wissenschaftler erscheint nun in der renommierten Fachzeitschrift Nature Communications.

„Unsere Ergebnisse sind einerseits reine Grundlagenforschung“, sagt Professor Ferdinand le Noble vom Zoologischen Institut des KIT, „jedoch eröffnen sie eine völlig neue Sicht darauf, wie Blutgefäße wachsen, sich verästeln oder in ihrem Wachstum gehemmt werden.“ Seit Jahrzehnten suchen Forscher nach Möglichkeiten, die Bildung neuer Blutgefäße gezielt zu fördern oder zu hemmen. Herzinfarkt- und Schlaganfallpatienten würden von neuen Versorgungsbahnen profitieren. Bei Krebspatienten hungert ein Stopp der einwachsenden Blutgefäße Tumore aus.

„Bis dato ging die Forschung davon aus, dass Blutgefäße über eine gewisse Selbstregulierung ihres eigenen Wachstums verfügen“, erklärt le Noble. „Bei Sauerstoffmangel schüttet Gewebe unter anderem den Wachstumsfaktor VEGF ("Vascular Endothelial Growth Factor") aus und lockt somit Blutgefäße an, die auf ihrer Oberfläche Rezeptoren für VEGF besitzen“, führt er aus. „Wir wollten wissen, wie dieses Gefäßwachstum ganz zu Beginn der Entwicklung eines Lebewesens reguliert ist.“ Dazu verfolgte das Team um le Noble das kontinuierliche Wachstum von Nerven- und Blutbahnen im Modellorganismus Zebrafisch. Die Eier des Zebrafischs sind transparent und entwickeln sich außerhalb des Körpers der Mutter: So können Forscher im Embryo oder der ebenfalls durchsichtigen Larve die Entwicklung von Organen oder gar einzelnen Zellen beobachten, ohne das heranwachsende Tier zu schädigen.

„Wir schließen aus den Ergebnissen, dass Nervenzellen durch eine feine Modulation das Ausmaß ihres Blutgefäßnetzwerks je nach Bedarf oder Entwicklungsstadium sehr dynamisch selbst bestimmen“, folgert le Noble. „Die bisherige Annahme, dass sprossende Blutgefäßzellen die nachstehenden Gefäßzellen kontrollieren – dieses Dogma der Zellbiologie kippt.“

Original-Publikation:

Neuronal sFlt1 and Vegfaa determine venous sprouting and spinal 1 cord vascularization. Raphael Wild, Alina Klems, Masanari Takamiya, Yuya Hayashi, Uwe Strähle, Koji Ando, Naoki Mochizuki, Andreas van Impel, Stefan Schulte-Merker, Janna Krueger, Laetitia Preau, Ferdinand le Noble. Nature Communications, Vol. XY, Pages XYZY, (2016).

Genauere Informationen in der Pressemitteilung 002/2017.


bsb, 10.01.2017