Ob höhere Erträge, eine größere Widerstandsfähigkeit gegen Klimaveränderungen oder Krankheiten – die Anforderungen an Nutzpflanzen steigen stetig. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, entwickeln Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) neue gentechnische Verfahren. Mithilfe der molekularen Schere CRISPR/Cas ist es ihnen nun in Zusammenarbeit mit anderen deutschen und tschechischen Forschenden erstmals gelungen, die Chromosomenzahl der Modellpflanze Arabidopsis thaliana gezielt zu verändern – ohne dass sich das nachteilig auf das Pflanzenwachstum auswirkt. Diese Entdeckung eröffnet neue Möglichkeiten für die Pflanzenzüchtung und die Landwirtschaft. Ergebnisse in der Fachzeitschrift Science. (DOI: 10.1126/science.adz8505)
Mit der molekularen Schere CRISPR/Cas (CRISPR steht für Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats) ist es den Forschenden des KIT in den letzten Jahren gelungen, nicht nur Gene, sondern auch Chromosomen zu verändern. So lassen sich in Kulturpflanzen gewünschte Eigenschaften gezielt kombinieren oder unerwünschte eliminieren. „Jetzt haben wir einen neuen Durchbruch geschafft: Wir konnten bei der Modellpflanze Arabidopsis thaliana, auch Ackerschmalwand genannt, mithilfe der Genschere erstmals bei Pflanzen die Chromosomenzahl verändern“, sagt Professor Holger Puchta vom Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften (JKIP) des KIT und Pionier auf diesem Gebiet. „Chromosomen sind deshalb so wichtig und interessant, weil wir hier Einheiten haben, auf denen verschiedene Gene angeordnet sind, die gemeinsam vererbt werden.“
Chromosomen sind winzige, fadenförmige Strukturen im Zellkern von Lebewesen. Sie enthalten Gene mit Erbinformationen etwa zum Aussehen, zur Entwicklung oder zur Abwehr von Krankheiten. Jedes Lebewesen besitzt eine bestimmte Anzahl von Chromosomenpaaren, die jeweils von beiden Eltern stammen. Beim Menschen beispielsweise sind es 23 Paare, also insgesamt 46 Chromosomen, bei einer Tomate 12 Paare, somit 24 Chromosomen. Die Ackerschmalwand hingegen besitzt nur fünf Chromosomenpaare, also zehn einzelne Chromosomen. Weicht diese Anzahl von der Norm ab, entstehen oft Beeinträchtigungen. „Bisher war unklar, wie eine Veränderung der Chromosomenzahl Pflanzen beeinflusst“, so Puchta. „Unsere Experimente haben überraschenderweise gezeigt, dass sich das nicht nachteilig auf ihre Entwicklung auswirkt.“
Neue Möglichkeiten der Genkombination
Um die Chromosomenzahl zu verringern, haben die Forschenden gezielt die beiden Arme eines Chromosoms auf die eines anderen übertragen. So konnten sie zwei Chromosomen zu einem verschmelzen. Da die Zellen von Pflanzen immer ein Paar von identischen Chromosomen enthalten, entstanden so Pflanzen mit nur noch acht statt zehn Chromosomen – also vier statt fünf Paare. „In der Evolution kam es bei der Bildung neuer Pflanzenarten öfter zu Veränderungen der Chromosomenzahl“, erklärt Dr. Michelle Rönspies vom JKIP und Erstautorin des Papers. „Wir konnten nun erstmals einen solchen Vorgang im Labor nachbilden. Das ist für uns ein großer Schritt, um besser zu verstehen, wie sich genetisches Material verändern kann.“ Die strukturellen Veränderungen wurden anschließend von einem Team um Professor Andreas Houben vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben mittels Mikroskopie bestätigt.
Die Studie zeigt, dass sich durch gezielte Veränderungen der Chromosomenstruktur auch die Art und Weise beeinflussen lässt, wie Gene bei der Fortpflanzung neu kombiniert werden. „Das ist besonders für die Pflanzenzüchtung interessant, weil man damit bestimmte Eigenschaften gezielter vererben kann“, sagt Rönspies.
Veränderte Chromosomenzahl beeinflusst Kreuzbarkeit
Die Auswirkungen auf das Pflanzenwachstum hat eine Forschungsgruppe um Professor Jiří Fajkus vom Central European Institute of Technology in Brünn in Tschechien untersucht. Sie konnte zeigen, dass sich Pflanzen mit acht Chromosomen im Wachstum genauso verhalten wie solche mit zehn.
Zwar wiesen die Pflanzen keine sichtbaren Unterschiede auf, allerdings hatten die Nachkommen, die aus Kreuzungen mit normalen Pflanzen entstanden, deutlich weniger Samen. „Das liegt daran, dass sich die veränderten Chromosomen bei der Fortpflanzung nicht mehr richtig mit den unveränderten paaren können. Dadurch entstehen fehlerhafte Keimzellen, was die Fruchtbarkeit senkt“, so Puchta. „Untereinander sind die Pflanzen aber so fruchtbar wie vorher.“
Solche Veränderungen könnten langfristig gezielt dafür genutzt werden, um Pflanzen genetisch von ihren wilden Verwandten zu isolieren und so ungewollte Auskreuzungen zu verhindern. „Unsere Ergebnisse demonstrieren, wie flexibel Pflanzengenome gegenüber massiven Umstrukturierungen sind“, so Puchta. „Unser Ansatz bietet uns eine einzigartige Gelegenheit, weitere Einblicke in die Genomentwicklung und potenzielle biotechnologische Anwendungen zu gewinnen.“
Originalpublikation
Michelle Rönspies, Solmaz Khosravi, Ondřej Helia, Alessandro Valisi, Jiří Fajkus, Miloslava Fojtová, Andreas Houben, Holger Puchta: CRISPR/Cas-mediated heritable chromosome fusions in Arabidopsis. Science, 2025. DOI: 10.1126/science.adz8505.
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