Im Maschinenraum für das Sonnenfeuer

Im Programm Fusion entwickeln Forschende am KIT Technologien für den Bau und den Betrieb eines Fusionskraftwerks

Am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) wollen Forschende gemeinsam die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kernfusion schaffen. Die bislang unerfüllten Versprechungen der Atomkraft könnte die Fusionsforschung in Zukunft wahr werden lassen: Fast unbegrenzte Energie, sicher, wirtschaftlich und ohne Jahrtausende strahlende Altlasten. Doch der Weg dahin ist weit, denn noch sind viele Fragen ungelöst. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am KIT forschen deshalb an zahlreichen Teilprozessen, die für das Gelingen dieses Unterfangens entscheidend sind – und gehören dabei zur Weltspitze.

Forschende in aller Welt arbeiten daran, den Prozess nachzubilden, der in der Sonne Energie erzeugt: die Kernfusion. Bei der Verschmelzung leichter Atome zu schwereren Atomen wird Energie freigesetzt, die Sterne über Milliarden von Jahren leuchten lässt. „Der vielversprechendste Brennstoff hierfür sind Wasserstoffatome, die zu Helium verschmolzen werden“, erläutert Professor Christoph Kirchlechner, Leiter des Instituts für Angewandte Materialien – Werkstoff und Grenzflächenmechanik sowie des Programms Fusion am KIT. „Am einfachsten geht das mit den beiden Wasserstoff-Isotopen Deuterium und Tritium.“ Die Verschmelzung ihrer Atomkerne erfordert hohe Temperaturen: 100 Millionen Grad Celsius muss das Gemisch erreichen. Bei diesen Temperaturen liegen die Atome als Plasma vor, die Elektronen der Atomhülle sind dann von den Kernen getrennt und die thermische Energie reicht aus, um die sich eigentlich abstoßenden Atomkerne ineinander zu schieben.

Während viele Forschungsgruppen sich auf die Vorgänge im Plasma konzentrieren, entwickeln Forschende am KIT den Maschinenraum für künftige Fusionsanlagen. „Wir suchen Antworten auf Fragen, die für die Nutzung der Kernfusion entscheidend sind“, so Kirchlechner. „Wie können wir die Brennstoffe, insbesondere das radioaktive Tritium, sicher beherrschen? Wie können wir das notwendige Tritium in der Fusionsanlage direkt erzeugen? Wie können wir das Plasma auf 100 Million Grad aufheizen, damit der Fusionsprozess selbsterhaltend abläuft? Welche Materialien können den extremen Bedingungen des Reaktorbetriebs standhalten?“ Damit der Prozess am Ende erfolgreich sei, müssten all diese Rädchen ineinandergreifen.

Wissenschaftsjahr „Zukunftsenergie"

Ein wachsender Energiebedarf, begrenzte Ressourcen und der fortschreitende Klimawandel stellen große Herausforderungen an das Energiesystem der Zukunft. Mit innovativen Projekten und neuen Denkansätzen suchen Forschende des KIT nach Lösungen, von umweltfreundlichen Solarzellen über Batterien für die nachhaltige Energiespeicherung bis hin zu fortschrittlichen Energietransportsysteme mit Supraleitern.

 Zur Pressemappe „Zukunftsenergie"

Zwei Personen mit Schutzhelmen stehen auf einer Metallbrücke und betrachten den im Aufbau befindlichen Reaktor ITER von oben.
Wendelstein 7-X in Greifswald ist eine der weltweit größten und modernsten Anlagen zur Erforschung der Kernfusionstechnik. Technologien des KIT sorgen für die im Reaktor notwendigen Temperaturen von über 100 Millionen Grad.
Portrait von Christoph Kirchlechner.
Professor Christoph Kirchlehner ist Leiter des Programms Fusion am KIT: „Wir suchen Antworten auf Fragen, die für die Nutzung der Kernfusion entscheidend sind.“
Portrait von Robin Größle
Dr. Robin Größle leitet die Gruppe Tritiumphysik und Tritiumanalytik am Tritiumlabor Karlsruhe, einer weltweit einzigartigen Forschungseinrichtung.
Thomas Giegerich in seinem Labor
Im von Professor Thomas Giegerich koordinierten Projekt SyrVBreTT soll der erste integrierte Brennstoffkreislauf für Stellaratoren entstehen.
Portrait von Gerd Gantenbein.
Dr. Gerd Gantenbein entwickelt und testet am KIT Gyrotrons, die dafür genutzt werden, um die „Zündtemperatur“ von 100 Millionen Grad Celsius zu erreichen.
Ein Mann mit Schutzhandschuhen und Schutzbrille steht neben einem rund vier Meter hohen Gerät, aus dem es stark herausdampft.
Das KIT ist die europaweit führende Einrichtung für die Forschung und Entwicklung von solchen Gyrotrons, die beispielsweise am Stellarator Wendelstein 7-X installiert wurden.
Zwei Menschen stehen an einem zylindrischen Metallobjekt, das aus vielen Rohren und Drähten besteht und sich über zwei Stockwerke erstreckt.
Am Forschungszentrum Karlsruhe, einer der Vorgängereinrichtungen des KIT, arbeiteten Forschende bereits in den 90er-Jahren an Technologien für die Kernfusion. Die Aufnahme zeigt Forschungsarbeiten aus dem Jahr 1994.

Natürlich nicht vorhanden: Woher kommt das Tritium?

Während Deuterium in der Natur in ausreichenden Mengen vorkommt und stabil ist, muss Tritium in der Fusionsanlage erzeugt werden. Die sichere Handhabung des radioaktiven Isotops ist deshalb eine Voraussetzung für die Fusionstechnologie. Bereits Anfang der 1990er-Jahre gründete das Forschungszentrum Karlsruhe, eine der Vorgängereinrichtungen des KIT, darum das Tritiumlabor Karlsruhe (TLK) mit dem Ziel, den Deuterium-Tritium-Brennstoffkreislauf für die Kernfusion zu entwickeln.

„Mit seinen umfangreichen Infrastruktursystemen und Versuchsanlagen ist das TLK eine weltweit einzigartige Forschungseinrichtung“, betont Dr. Robin Größle, Leiter der Gruppe Tritiumphysik und Tritiumanalytik am TLK. „Die einst experimentellen Systeme bilden nun das Rückgrat des geschlossenen Tritiumkreislaufs am TLK und ermöglichen viele Experimente mit hochreinem Tritium.“ So hat das Karlsruher Labor beispielsweise das erste integrierte Design für den Brennstoffkreislauf des im südfranzösischen Cadarache entstehenden Tokamak-Forschungsreaktors ITER zur Verfügung gestellt.

Vielseitige Blankets

Um Tritium in ausreichender Menge zu erzeugen, muss es im Fusionskraftwerk erzeugt werden. Sogenannte Blankets, die rund um die Fusionskammer angeordnet sind, erfüllen dabei drei Aufgaben: das Erbrüten des Tritiums; die Umwandlung der gewonnenen Energie, die bei der Fusion freigesetzt wird, in nutzbare Wärme; und die Abschirmung der Magnetspulen gegen Strahlung. Forschende des KIT entwickeln Blankets, die sie am ITER testen wollen.

Das KIT ist auf vielfältige Weise am Forschungsreaktor ITER in Südfrankreich beteiligt.

Technologien für den Fusionsbrennstoffkreislauf

„In den letzten Jahren wurden spektakuläre Fortschritte bei der Erzeugung und der Handhabung von Fusionsplasmen erzielt“, sagt Dr. Thomas Giegerich vom Institut für Technische Physik des KIT. „Viele Fragen des praktischen Betriebs bleiben aber ungelöst.“ Das gilt zum Beispiel für den Brennstoffkreislauf: Damit der Heliumanteil im Fusionsplasma nicht zu stark ansteigt, muss das Reaktionsgemisch in den Reaktoren kontinuierlich abgepumpt, gereinigt und dann zusammen mit neuem Brennstoff injiziert werden. Das bezeichnen die Forschenden als inneren Brennstoffkreislauf, im Gegensatz zum äußeren, der die technische Erzeugung von Tritium abbildet.

Im von Giegerich koordinierten Projekt SyrVBreTT (Synergie-Verbund Brennstoffkreislauf und Tritium Technologien) wollen das KIT und Partner den ersten integrierten Brennstoffkreislauf für Stellaratoren entwickeln. Stellaratoren schließen, genau wie Tokamaks, die Elektronen und Atomkerne des Fusionsplasmas in Magnetfeldern ein. „Wir arbeiten an den für beide Kreisläufe notwendigen technischen Komponenten wie Pumpen, Speicherbetten und Pellet-Injektionssysteme“, so Giegerich.

Wie man 100 Millionen Grad erreicht

Eine weitere Hürde ist die enorm hohe „Zündtemperatur“ von über 100 Millionen Grad Celsius, die notwendig ist, um das Plasma stabil zu halten. Dazu muss das Plasma von außen aufgeheizt werden. „Wir nutzen dazu sogenannte Gyrotrons“, erläutert Dr. Gerd Gantenbein vom Institut für Hochleistungsimpuls- und Mikrowellentechnik des KIT. Was klingt wie eine Alienspezies aus Star Trek sind in der Realität hochspezialisierte Vorrichtungen: „In Gyrotrons wird die kinetische Energie eines Elektronenstrahls in eine starke Mikrowellenstrahlung umgewandelt. Wir entwickeln sie in enger Zusammenarbeit mit unseren europäischen Partnern“, so Gantenbein.

Als führende europäische Einrichtung für die Forschung und Entwicklung von Gyrotrons liefert das KIT unter anderem für den Stellarator Wendelstein 7-X in Greifswald und den internationalen Forschungsreaktor ITER. Die Herstellung der Gyrotrons übernimmt der industrielle Partner Thales in Frankreich, im Anschluss testen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des KIT die Geräte. Dafür hat die Forschungsgruppe am KIT den weltweit einzigartigen Gyrotron-Teststand FULGOR (Fusion Long Pulse Gyrotron Research Laboratory) aufgebaut, der auch bei der Entwicklung für DEMO (DEMOnstration Power Plant) eine zentrale Rolle spielt– einem geplanten Prototyp-Fusionskraftwerk, das erstmals Strom erzeugen soll. Die am KIT entwickelten Gyrotrons müssen dafür bei unterschiedlichen Frequenzen Leistungen von bis zu zwei Megawatt in das Plasma einspeisen – das entspricht etwa dem Zweitausendfachen eines haushaltsüblichem Mikrowellenherds.

Dank einzigartiger Infrastrukturen auch in Zukunft eine Schlüsselrolle

Um die zahlreichen Facetten der Fusionsforschung zusammenzuführen, entsteht am KIT derzeit DIPAK (Direct Internal Recycling Integrated Development Platform Karlsruhe): Die Plattform kombiniert verschiedene für die Fusionstechnologie notwendige Forschungsinfrastrukturen an einem Ort. Das umfasst unter anderem eine Testanlage für alle relevanten Vakuumtechnologien, das Testen und Qualifizieren von Komponenten für DEMO und die Abbildung weiterer für die Kernfusion relevanter Prozesse. „Damit bleibt das KIT auch zukünftig eine zentrale Schlüsseleinrichtung für die Fusionsforschung, wenn bei DIPAK unmittelbar nach der für 2027 geplanten Fertigstellung die ersten Versuche beginnen“, blickt Giegerich optimistisch in die Zukunft.

Dr. Joachim Hoffmann, 17.06.2025