Metallkunde: Rätsel des Korn-Tanzes gelöst

Dank ultrapräziser Mikroskopie konnte ein Forschungsteam unter Beteiligung des KIT erstmals experimentell nachweisen, wie Körner sich in Metallen drehen
Evgeniy Boltynjuk und Horst Hahn im Institut für Nanotechnologie KIT
Dr. Evgeniy Boltynjuk (li.) und Prof. Horst Hahn (re.) haben die Proben geliefert, aus denen die Gründe für die Körnerrotation beobachtet werden konnten.

Ob Stahl, Aluminium oder Silizium – Materialien sind allgegenwärtig und dennoch längst nicht vollständig erforscht. Seit Jahrzehnten war zum Beispiel unklar, warum und wie sich die als „Körner“ bezeichneten inneren Bausteine von Materialien bei erhöhten Temperaturen oder während plastischer Verformung bewegen und drehen, anstatt lediglich größer oder kleiner zu werden. Nun ist es einem internationalen Forschungsteam unter Beteiligung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erstmals gelungen, experimentell zu zeigen, was diese Rotation verursacht und wie die Prozesse auf atomarer Ebene ablaufen. Die Ergebnisse veröffentlichten die Forschenden in Science.

Defekte in der Mikrostruktur als Auslöser des Tanzes

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten die Korngrenzen – die Grenzflächen zwischen den Körnern – und fanden heraus, dass die Bewegung von Defekten in diesen Korngrenzen für die Kornrotation verantwortlich ist. Defekte sind zum Beispiel Brüche oder Verrenkungen, die in fast jedem Material zu finden sind. Weil sie selber mit Energie beladen sind, bewegen sich die Defekte und ordnen sich neu, um die Spannung und damit die Energie um sich herum zu verringern. In diesem komplexen dreidimensionalen Prozess ziehen die Defekte die Körner mit – ähnlich wie in einem Tanz.

Um dies zu untersuchen, fertigten Professor Horst Hahn und weitere Forschende vom Institut für Nanotechnologie des KIT dünne Schichten aus Platin an, die zahlreiche Körner in Nanometer-Größe enthalten. Mithilfe modernster Elektronenmikroskopie konnte das Forschungsteam anschließend wie in einem Film beobachten, welche Prozesse auf verschiedenen atomaren Skalen stattfinden.

Diese Erkenntnisse könnten mittelfristig dazu beitragen, Materialien mit neuen Eigenschaften zu entwickeln und industrielle Bearbeitungsverfahren zu optimieren. Im nächsten Schritt wollen die Forschenden Legierungen testen, die aus mehreren Elementen bestehen und damit den Materialien des Alltags näherkommen.

iha, 27.11.2024