Presseinformation 071/2025

Chemie: Erstmals Bindungskraft von eingeschlossenem Wasser nachgewiesen

Langjähriges Thema der supra- und biomolekularen Chemie geklärt – Eingeschlossenes Wasser verstärkt molekulare Bindungen – Neue Perspektiven für Medizin und Materialwissenschaft
INT, KIT
Wassermoleküle sind eine treibende Kraft bei der Bildung molekularer Bindungen, beispielsweise in Proteinen. (Foto: INT, KIT)

Wasser ist überall – es bedeckt den Großteil der Erde, zirkuliert im menschlichen Körper und ist selbst in den kleinsten molekularen Nischen zu finden. Doch was passiert, wenn Wasser nicht frei fließt, sondern in solchen Strukturen eingeschlossen ist? Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und der Constructor University in Bremen haben erstmals nachgewiesen, dass „eingesperrtes“ Wasser sein Umfeld beeinflussen und die Bindung zwischen Molekülen verstärken kann. Diese Erkenntnis könnte neue Wege für die Entwicklung von Medikamenten und Materialien eröffnen. Ergebnisse in der Fachzeitschrift Angewandte Chemie International Edition. (DOI: 10.1002/anie.202505713)

Ein Teil des Wassers auf der Erde befindet sich in winzigen Ecken und Winkeln – eingeschlossen in molekularen Taschen, wie Proteinbindungsstellen oder synthetischen Rezeptoren. Ob sich dieses Wasser in der Anwesenheit anderer Moleküle neutral verhält oder deren Bindung beeinflusst, war bisher umstritten. „Üblicherweise interagieren Wassermoleküle miteinander am stärksten. Jedoch zeigten experimentelle Daten, dass sich Wasser in solchen engen Taschen ungewöhnlich verhält“, sagt Dr. Frank Biedermann vom Institut für Nanotechnologie des KIT. „Wir konnten nun den theoretischen Unterbau für diese Beobachtungen liefern und nachweisen, dass das Wasser in den molekularen Taschen energetisch angespannt ist.“

Die Forschenden nennen diesen Zustand „hochenergetisch“– nicht, weil das Wasser leuchtet oder sprudelt, sondern weil es sich in einem energiereicheren Zustand befindet als gewöhnliches Wasser. Hochenergetisches Wasser verhält sich nämlich wie Menschen in einem überfüllten Aufzug: Sobald sich die Tür öffnet, drängen sie hinaus. Genauso schiebt sich hochenergetisches Wasser aus der molekularen Tasche heraus, wenn ein anderes Molekül hineinkommt. Dabei drückt es den Neuankömmling an den freigewordenen Platz. Die Energie des Wassers verstärkt somit die Bindung zwischen dem neuen Molekül und der molekularen Tasche. 

Ergebnisse liefern eine Vorhersage der Bindungskraft

Als Basis für ihre Studie nutzten die Forschenden das Wirtmolekül Cucurbit[8]uril. Dieses kann andere Moleküle, auch Gastmoleküle genannt, empfangen und ist aufgrund seiner hohen Symmetrie deutlich einfacher zu analysieren als sehr komplexe Systeme wie Proteine. „Je nach Gastmolekül konnten wir mit Computermodellen berechnen, wie viel zusätzliche Bindungskraft das hochenergetische Wasser liefert“, erklärt Professor Werner Nau von der Constructor University in Bremen. „Wir haben festgestellt: Je energetisch angespannter das Wasser ist, desto mehr unterstützt es die Bindung zwischen dem Gastmolekül und dem Wirt, wenn es austritt.“ 
Biedermann ergänzt: „Die gewonnenen Daten zeigen klar, dass das Konzept hochenergetischer Wassermoleküle physikalisch fundiert ist – und dass gerade diese Wassermoleküle eine zentrale treibende Kraft bei der Bildung molekularer Bindungen darstellen. Selbst natürliche Antikörper, etwa solche gegen SARS-CoV-2, könnten ihre Wirksamkeit teilweise der Art und Weise verdanken, wie sie Wassermoleküle in ihre Bindungstaschen hinein- und wieder herausbefördern.“ 

Für Medikamente oder neue Materialien nutzbar

Die Erkenntnisse von Biedermann und Nau könnten die Medizin sowie die Materialwissenschaften maßgeblich beeinflussen. In der Arzneimittelentwicklung eröffnet die Identifizierung von hochenergetischem Wasser in Zielproteinen die Möglichkeit, Wirkstoffe gezielt so zu gestalten, dass sie dieses Wasser verdrängen, dessen Bindungskraft nutzen und dadurch stabiler im Protein verankert werden – was die Wirksamkeit des Medikaments verbessern kann. In der Materialwissenschaft könnte die Herstellung von Hohlräumen, die solches Wasser ausschließen oder verdrängen, die Sensorik oder Speicherleistung verbessern. 

Die Forschenden kombinierten für ihre Studie hochpräzise Kalorimetrie – eine Methode zur Messung der bei molekularen Vorgängen freigesetzten oder absorbierten Wärme – mit Computermodellen, die Dr. Jeffry Setiadi und Professor Michael K. Gilson an der University of California in San Diego erstellt haben. 

Originalpublikation
Jeffry Setiadi, Frank Biedermann, Werner M. Nau, Michael K. Gilson: Thermodynamics of Water Displacement from Binding Sites and its Contributions to Supramolecular and Biomolecular Affinity. Angewandte Chemie International Edition, 2025. doi/10.1002/anie.202505713. 
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/anie.202505713 

Weitere Informationen zur Arbeitsgruppe Biedermann


 

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iha, 14.10.2025

 

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