IPv6 : „Es hat keinen Sinn, das alte IPv4-Netz mit Krücken am Leben zu erhalten“

Interview mit PD Dr.-Ing. Roland Bless vom Institut für Telematik am KIT
Ist das Aufrüsten ein Hardwareproblem oder etwas, das sich durch ein einfaches Software-Update lösen lässt?

Das ist unterschiedlich. Es gibt Geräte wie zum Beispiel einige DSL-Router, die per Software-Update IPv6-fähig gemacht werden können. Es hapert derzeit eher an den Netzbetreibern, die den Kunden noch keinen IPv6-fähigen Internetzugang anbieten. Auf Netzbetreiberseite läuft es meistens auf eine Hardware hinaus, die erneuert werden muss. Die erforderliche sehr schnelle Weiterleitung der Datenpakete kann nur mit Hardware-Unterstützung erfolgen, da reicht dann ein reines Software-Update nicht mehr aus.

Bedeutet das, dass die Umstellung zuerst die Hardware-Hersteller und Netzbetreiber betreffen wird? Spüren auch die Nutzer etwas davon?

Die Nutzer sollten am besten überhaupt nichts davon spüren. Die Idee ist, dass zunächst einmal die Hardware IPv6-fähig gemacht wird. Die neuen Adressen muss man sich ebenso besorgen, wie das auch mit dem alten Format der Fall war, nur dass es eben einen viel größeren Adressraum gibt.

Von der Nutzerseite her sieht es im Moment eigentlich ganz gut aus: Die Computer zu Hause oder die Laptops haben meist schon die entsprechenden IPv6-fähigen Betriebssysteme installiert. Windows hat IPv6 seit Vista direkt an Bord, Windows 7 dementsprechend auch und Mac OS sowie Linux ebenfalls. Die drei größeren Betriebssysteme sind also auf jeden Fall IPv6-fähig. Nur die Betreiber bieten im Moment noch keine Verbindung mit dem neuen IPv6-Netz an. Zudem stellen auch viele Webserver ihre Inhalte noch nicht über IPv6 zur Verfügung. Da scheitert es häufig noch an der Managementsoftware, das heißt, der Webserver-Betreiber hat seine Verwaltungssoftware noch nicht für den Umgang mit IPv6 angepasst.

 

Wie lange wird die Umstellung dauern und wird es Probleme geben?

Während zunehmend IPv6-Adressen vergeben und eingesetzt werden, wird das IPv4-Netz weiter betrieben. Bis die IPv6-Nutzung dominiert, werden schätzungsweise mindestens 10 Jahre vergehen. Jemand, der sich neu ans Netz anschließen möchte und keine IPv4-Adresse mehr bekommt, wird über IPv6 angeschlossen. Er hat jedoch das Problem, dass der Großteil der Inhalte nur über IPv4 verfügbar ist, weshalb es Umsetzungslösungen gibt, die den Zugriff ermöglichen. Aber: Auch diese Umsetzungslösungen benötigen mindestens eine öffentliche IPv4-Adresse. Wenn diese tatsächlich nicht mehr zur Verfügung stehen, haben auch solche Umsetzungsmechanismen ein Problem. Insofern sind im Moment diejenigen die Glücklichen, die genug IP-Adressen für die nächste Zeit haben.

 

Wie lange halten die neuen IP-Adressen?

Das ist schwierig zu sagen. Es hängt auch davon ab, wie verschwenderisch mit den neuen Adressen umgegangen wird. Projektiert sind erst einmal 50 Jahre, aber man kann kaum vorhersagen, welche neuen Dinge in den nächsten 20 Jahren entwickelt werden, die vielleicht eine Unmenge an Adressen brauchen.

 

Ihr Fazit zu dem Thema?

Manche Leute haben IPv6 ein wenig belächelt und gedacht, man brauche es nicht. Doch alle Lösungsvorschläge, die das Leben des IPv4-Internets verlängern sollen, sind sehr komplex und bringen das Problem mit sich, dass man weitere Mechanismen einführen muss, die das Internet nicht gerade stabiler machen. Zusätzlich erschweren sie es, neue Anwendungen ins Internet zu bringen. Insofern ist IPv6 sehr viel zukunftssicherer. Letztendlich sollte man lieber den Aufwand in die neue IPv6-Infrastruktur investieren, anstatt die alte Struktur mit Krücken noch künstlich länger am Leben zu erhalten.

Den Kunden kann man raten, bei ihren Betreibern IPv6-Unterstützung nachzufragen. Bisher ist es noch nicht im Bewusstsein der Kunden angelangt, dass es ein neues Protokoll gibt, das sie haben können. Je mehr Kunden sich dafür interessieren, desto eher sehen die Betreiber ein, dass sie etwas tun müssen. Sie sollen ihre Kunden nicht im alten Internet einsperren, sondern ihnen ermöglichen, per IPv6 auch auf die neuen Präsenzen zugreifen zu können. Meiner Ansicht nach sind die Provider diejenigen, die momentan am ehesten handeln müssen und ich hoffe, dass sie schnell IPv6-Angebote bereitstellen werden – die Zeit drängt jetzt. Die meisten sind intern dazu schon in der Lage, haben es aber noch nicht zum Kunden hin aktiviert. Danach hängt es an den Endgeräten der Nutzer, ob diese IPv6 unterstützen oder ob zum Beispiel ein neuer (DSL-)Router her muss.

 

Das Interview führte KIT-Redakteurin Tu-Mai Pham-Huu

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