Presseinformation 66/2008

Nach welchen Kriterien wählt Amerika?

Lösung der Probleme des Landes wichtiger als bisher angenommen – Deutsch-amerikanisches Forscherteam legt neues Modell zur Wahlvorhersage vor
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Die Wahlentscheidung: Welche Faktoren sind ausschlaggebend?
Bild: photocase.de)

Nach welchen Kriterien wählt Amerika seinen Präsidenten? Der KIT-Wissenschaftler Andreas Graefe und Professor Scott Armstrong von der Universität von Pennsylvania zeigen, dass die Probleme des Landes und die von den Wählern wahrgenommene Kompetenz der Kandidaten, diese zu lösen, eine weitaus größere Rolle für die Wahlentscheidung spielen als bisher angenommen. Für 2008 prognostizieren Graefe und Armstrong Barack Obama als Sieger, mit einem Stimmanteil von 52.5%.

„In der Politikwissenschaft wird häufig die These vertreten, dass die alltäglichen Probleme des Landes (issues) und die Politikvorhaben (policies) der Kandidaten nur geringen Einfluss auf den Ausgang der U.S. Wahlen haben – zumindest in ihrer Gesamtheit betrachtet“, so Andreas Graefe vom Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) des KIT, der derzeit in Philadelphia forscht. Gemeinsam mit Scott Armstrong von der Wharton Business School der Universität von Pennsylvania hat er ein neues Modell für Wahlvorhersagen entwickelt. Bei den gängigen Studien, so Graefe, werde stets angenommen, dass eher einzelne Problempunkte, wie Abtreibung, Kriminalität, oder, wie in diesem Jahr, die Finanzkrise, Gewicht für die Wahlentscheidung hätten. „Neu an unserem Modell ist, dass wir sämtliche in den aktuellen Umfragen erhobenen Probleme des Landes und die Meinung der Wähler, welcher der Kandidaten diese Probleme besser lösen kann, auswerten.“

Wer kann mehr Punkte auf sich vereinen?

In einem ersten Ansatz, genannt „PollyIssues“, untersuchten Armstrong und Graefe, welchen Kandidaten die Wähler als geeigneter zur Lösung der spezifischen Probleme des Landes einschätzten. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass es für den Wähler nicht unbedingt entscheidend ist, wie Probleme gelöst werden sollen oder welche Politikvorhaben ein Kandidat verfolgt. Wichtig für den Wähler sei vielmehr, dass die Probleme gelöst werden.

Ungewöhnlich ist die statistische Methode, mit der die Wissenschaftler die Ergebnisse auswerteten. Im Gegensatz zu klassischen Regressionsmodellen, bei denen einzelne Variablen nach verschiedenen Kriterien gewichtet werden, ist die von Armstrong und Graefe gewählte Index-Methode mit einem Punktespiel vergleichbar. Dabei erhält ein Kandidat einen Punkt für jedes Problem, für deren Lösung er von den Befragten bevorzugt wird. Der Kandidat mit der höchsten Gesamtpunktzahl ist letztlich der von der Methode prognostizierte Wahlsieger.


Haben ein neues Modell für Wahlvorhersagen entwickelt: Andreas Graefe
vom KIT (rechts) und Scott Armstrong von der Universität von Pennsylvania.
(Foto: privat)

Graefe und Armstrong analysierten auf diese Weise Daten von 315 Umfragen und testeten ihr Verfahren für die letzten neun US- Präsidentschaftswahlen von 1972 bis 2004. Sieben Mal hätte PollyIssues dabei den Wahlsieger korrekt vorhergesagt. Nur für die Wahlen 1976 und 1980 lag die Methode daneben. Als Grund hierfür sehen die Forscher die geringe Anzahl von Umfragen, die für Wahlen vor 1992 zur Verfügung standen. Für die letzten drei Wahlen von 1996 bis 2004 wären die Vorhersagen des Modells dagegen umso präziser gewesen. So hätte das Modell nicht nur jeweils den Gewinner korrekt vorhergesagt, sondern auch genauere Prognosen für den Stimmanteil der Kandidaten geliefert, als vier der gängigsten Vorhersagemodelle. Diese traditionellen Vorhersageverfahren, entwickelt von Ökonomen und Politikwissenschaftlern, erklären den Wahlausgang üblicherweise mit ökonomischen Faktoren wie dem Zustand der Volkswirtschaft oder berücksichtigen den Wählerwillen durch Einbeziehen klassischer Wahlumfragen, die vergleichbar sind mit der in Deutschland gestellten „Sonntagsfrage“.

Politikvorhaben im Urteil der Wähler

In einem zweiten Ansatz, genannt „PollyPolicies“ prognostizieren Graefe und Armstrong den Wahlausgang unter Berücksichtigung der politischen Standpunkte und Politikvorhaben der Kandidaten. Diesem Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass die Wähler durchaus informiert sind über die Positionen der Kandidaten und diese Information in ihre Wahlentscheidung mit einbeziehen. So sind die Ansätze der Kandidaten zur Lösung bestimmter Probleme oftmals sehr unterschiedlich. Beispiel Kriminalität: Eine klassische Position von Demokraten ist es, Ausbildung zu verbessern und so die Arbeitsmarktchancen für Personen zu verbessern, die leicht straffällig werden könnten. Eine republikanische Position könnten dagegen mehr Polizeikräfte und längere Gefängnisstrafen sein. Erneut mit Hilfe der Index-Methode untersuchten Graefe und Armstrong diesmal den Zusammenhang zwischen den von den Wählern bevorzugten Politikvorhaben und den Standpunkten der Kandidaten. Das Ergebnis: Auch hier bevorzugen die Wähler Barack Obama.

Auf einer Linie mit klassischen Wahlprognosen

Mit ihrer Prognose von Barack Obama als Wahlsieger stehen Graefe und Armstrong auf einer Linie mit traditionellen Wahlvorhersagen wie beispielsweise PollyVote. PollyVote kombiniert Vorhersagen von verschiedenen Methoden: klassischen Wahlumfragen, einem Prognosemarkt, Experteneinschätzungen und statistischen Modellen. Mit diesem Verfahren konnte PollyVote bereits 2004 den Wahlausgang nahezu perfekt vorhersagen und hat als einziges Prognoseinstrument zu keinem Zeitpunkt John Kerry als Sieger prognostiziert – auch als dieser in Umfragen vor George W. Bush lag. Polly’s Vorhersage für 2008 ist eindeutig: Seit der Wiedereinführung im August 2007 prognostiziert das Verfahren, mit täglich aktualisierten Vorhersagen, die Demokraten als Wahlsieger.

Graefe. A. & Armstrong, J. S. (2008). Forecasting Elections from Voters’ Perceptions of Candidates’ Positions on Issues and Policies.

Im Karlsruher Institut für Technologie (KIT) schließen sich das Forschungszentrum Karlsruhe in der Helmholtz-Gemeinschaft und die Universität Karlsruhe zusammen. Damit wird eine Einrichtung international herausragender Forschung und Lehre in den Natur- und Ingenieurwissenschaften aufgebaut. Im KIT arbeiten insgesamt 8000 Beschäftigte mit einem jährlichen Budget von 700 Millionen Euro. Das KIT baut auf das Wissensdreieck Forschung – Lehre – Innovation.

Die Karlsruher Einrichtung ist ein führendes europäisches Energieforschungszentrum und spielt in den Nanowissenschaften eine weltweit sichtbare Rolle. KIT setzt neue Maßstäbe in der Lehre und Nachwuchsförderung und zieht Spitzenwissenschaftler aus aller Welt an. Zudem ist das KIT ein führender Innovationspartner für die Wirtschaft.

lg, 21.10.2008
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