200 Jahre Pioniergeist: Die Energiewende als Erbe der Atomforschung

Vom ersten deutschen Reaktor zur Batterieforschung: Was mit Atomforschung begann, gestaltet heute die Zukunft der Energieversorgung

In den 1950er-Jahren herrschte in Deutschland „Atomeuphorie“. Die Vision: eine sichere, bezahlbare und souveräne Energieversorgung für die aufstrebende deutsche Wirtschaft. Ein Zentrum für Kernforschung sollte entstehen und das kriegsgezeichnete Land technologisch wieder nach vorne bringen. Karlsruhe wurde zum Zentrum dieser Energiezukunft – nicht zuletzt wegen der Nähe zur traditionsreichen Technischen Hochschule. 1956 begann man mit dem Bau einer der modernsten Forschungsanlagen Europas – mitten im Hardtwald, dem einstigen Jagdgebiet der Großherzöge von Baden. 

Aufbruch in die Atom-Ära – Der erste deutsche Eigenbaureaktor

Schon 1961 ging der erste deutsche selbstentwickelte Forschungsreaktor FR2 in Betrieb. Der Bau war ein Mammutprojekt. Der Reaktor ein technisches Meisterwerk, das in nur vier Jahren vollendet wurde. Die Zusammenarbeit zwischen Hochschule und Zentrum war eng – viele Professoren lehrten und forschten in beiden Welten.

Mit dem „Schnellen Brüter“ sollte die Energiefrage zu Beginn der 1970er-Jahre endgültig gelöst werden. Doch die Technik war komplex, die Kosten hoch – und nach den Atomunfällen von Harrisburg und Tschernobyl kippte die Stimmung in der Bevölkerung endgültig: Die Proteste wurden laut, die Projekte gestoppt. Doch an der einstigen Vision einer bezahlbaren, sicheren und umweltfreundlichen Energieversorgung hat sich durch die Neuorientierung nichts geändert. Viele der für die Energiewende relevanten Forschungsbereiche haben Wurzeln in der Atomforschung.

Vom Reaktor zur Energiewende: Neue Forschungsfelder entstehen

Doch die Forschung blieb nicht auf die Reaktortechnik beschränkt. So sammelten Meteorologinnen und Meteorologen am Kernforschungszentrum Wetterdaten und entwickelten spezielle Simulationen, um die Ausbreitung einer radioaktiven Wolke vorherzusagen und so zur Bewertung möglicher Störfälle in Kernkraftwerken beizutragen.

Diese Simulationen erwiesen sich später als wichtig für die Umweltforschung, etwa bei der Kalkulation der Ausbreitung von Schadstoffen aus Fabrikschornsteinen – ein Fortschritt in der Planung von Industrieanlagen. Auch Jahrzehnte später zeigt sich die Relevanz dieser Modelle: Mit Simulationsprogrammen berechneten Forschende während der Coronakrise zwischen 2020 und 2023, wie sich die von Infizierten ausgeatmeten Viren in Räumen verbreiten.

Ebenso beachtlich ist die Weiterentwicklung in der Energiespeicherung: Die elektrochemische Forschung, ursprünglich für Strahlenschutz und Reaktorchemie betrieben, bildet heute die Basis für die Batterieforschung am KIT. Auch die Fusionsforschung hat Wurzeln in der klassischen Kerntechnik. Die Geschichte zeigt: Forschung ist niemals sinnlos, auch wenn sich die ursprünglichen Ziele ändern. Wissen, das einst für den Bau von Reaktoren erforderlich war, treibt heute die Energiewende voran.

mex, 23.10.2025

Collage der Baustelle des Forschungsreaktors FR2 mit Schalungen und Bewehrung bei Tag und Baugrube mit Beleuchtung bei Nacht. Unbekannt/KIT-Archiv
Auf der Baustelle des ersten Deutschen Reaktors wurde Tag (1958, links) und Nacht (1957) gearbeitet. 1961 war das Mammutprojekt nach nur vier Jahren Bauzeit vollendet.

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