Neutrinowaage KATRIN feiert "first light"

Groß-Experiment KATRIN erreicht nächsten Meilenstein / Erstmals durchfliegen Elektronen die komplette Anlage bis zum Detektor / Start des regulären Messbetriebs ab Herbst 2017
v. l. n. r.: Prof. Oliver Kraft, Prof. Guido Drexlin, Prof. Johannes Blümer (alle KIT), Prof. Ernst-Wilhelm Otten, Universität Mainz, Prof. Hamish Robertson, University of Washington, Seattle (Foto: Patrick Langer, KIT)

Als präziseste Waage der Welt soll KATRIN die genaue Masse des kleinsten Materie-Teilchens, des Neutrinos, bestimmen; ein Themengebiet, das im letzten Jahr mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde. Ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Messbetrieb war das "first light" am vergangenen Freitag: Zum ersten Mal "sah" der Detektor Elektronen, die durch die gesamte 70 Meter lange Anlage geführt wurden.

Neutrinos spielen eine wichtige Rolle bei der Untersuchung des Ursprungs der Materie und bei der Gestaltung der sichtbaren Strukturen im Kosmos. Ihre Masse, die über eine Milliarde Mal kleiner sein muss als die eines Wasserstoffatoms, ist ein wichtiger, aber noch ungenau bestimmter Parameter. Das internationale Experiment KATRIN wird die Neutrinomasse mit einer Genauigkeit eingrenzen, die mehr als eine ganze Größenordnung besser sein wird als bislang. Dazu werden ab Herbst 2017 Elektronen aus dem Beta-Zerfall von Tritium, in dem Neutrinos eine tragende Rolle spielen, exakt vermessen.

Elektronen treffen nach wenigen Millionstel Sekunden Flugzeit auf den Detektor

Auch wenn beim "first light" das Instrument noch nicht seine volle Leistung bringt, ist dieser Augenblick für die Wissenschaftler und Ingenieure ein wichtiger Funktionstest. Die zahlreichen Systemteile und Komponenten von KATRIN spielten nun erstmals zusammen. Auf dem 70 Meter langen Weg eines Elektrons durch das gesamte Experiment liegen supraleitenden Magnete und Kältefallen, gasgefüllte Bereiche und Vakuum, Zonen mit Temperaturen unter 4 Kelvin und mit Raumtemperatur, deren Betrieb optimal aufeinander abgestimmt werden muss.

Für das "first light" wurde noch eine schaltbare Elektronenquelle genutzt, die mittels einer UV-Lichtquelle geeignete Elektronen aus einer goldbeschichteten Edelstahlplatte schlägt, die nach einer Flugzeit von wenigen Millionstel Sekunden auf den Detektor treffen. Der Detektor aus Silizium-Halbleitermaterial besitzt einen Durchmesser von rund 125 Millimetern und beinhaltet 148 Pixel, die ähnlich einer Dartscheibe angeordnet sind und damit einen räumlichen "Blick" in die Welt von KATRIN ermöglichen.

Im vergangenen Jahr wurde die letzte Großkomponente von KATRIN angeliefert, ein rund 25 Tonnen schweres und 16 Meter langes Bauteil, das die hochintensive, gasförmige Tritiumquelle aufnimmt. Das bekannteste Bauteil von KATRIN wurde bereits 2006 am KIT aufgestellt: Das Hauptspektrometer mit einer Länge von 24 Metern und einem Durchmesser von zehn Metern wurde auf dem Seeweg und auf den letzten Kilometern unter der Begleitung von über 30.000 Schaulustigen angeliefert. Das Foto, auf dem das "silberne Raumschiff" über ein Mehrfamilienhaus in Leopoldshafen ragt, ging um die Welt und wurde zu einem der BBC-Fotos des Jahres gewählt.

Messung im Tritium-Betrieb soll im Herbst 2017 starten

Für die Bewältigung der Jahrhundertaufgabe "Messung der Neutrinomasse" haben die Forscher von KATRIN in den vergangenen Jahren zahlreiche wissenschaftliche Herausforderungen gelöst und technologisches Neuland betreten. So etwa eine Hochspannung von 18.600 Volt mit einer Genauigkeit von 0,01 Volt stabil zu halten. Oder die Erzeugung eines Ultrahochvakuums, welches dem auf der Mondoberfläche entspricht, in einem turnhallengroßen Weltrekord-Volumen von 1.240 Kubikmetern. Rund 150 Wissenschaftler aus 6 Ländern und 18 namhaften Institutionen sind am KATRIN-Experiment beteiligt, dessen Budget 60 Millionen Euro umfasst.

Die Messung der Neutrinomasse im Tritium-Betrieb soll im Herbst 2017 beginnen. Erste interessante Ergebnisse zur Neutrinomasse werden bereits für Mitte 2018 erwartet. Dann wird die Mess-Empfindlichkeit von KATRIN bereits deutlich besser sein als die von allen anderen Tritiumzerfallsexperimenten der letzten drei Dekaden zusammen. Die endgültige, geplante Sensitivität erreicht KATRIN aber erst nach fünf Kalenderjahren Messzeit.


kes, 17.10.2016