"Das Tolle ist, dass es so furchtbar normal ist"

Daniel Cohn-Bendit hielt am Dienstagabend die Jean Monnet Keynote Lecture über neue Herausforderungen für die deutsch-französische Freundschaft. Sein Vortrag war ein Plädoyer für die Vereinigten Staaten von Europa.
Überzeugter Europäer: Daniel Cohn-Bendit (Foto: Emanuel Jöbstl / KIT)
Publikumsmagnet: Der Tulla-Hörsaal... (Foto: Emanuel Jöbstl / KIT)
... war bis auf den letzten (Steh-)Platz besetzt (Foto: Emanuel Jöbstl / KIT)
Als einer der Höhepunkte der Deutsch-französischen Woche am KIT war er angekündigt, und als Publikumsmagnet entpuppte er sich auch: An die 400 Zuhörer folgten im überfüllten Tulla-Hörsaal dem Vortrag des Europaparlamentariers Daniel Cohn-Bendit, der als Gemeinschaftsveranstaltung von ZAK | Zentrum für Angewandte Kulturwissenschaft und Studium Generale des KIT, Heinrich-Hertz-Gesellschaft und Karlsruher Universitätsgesellschaft e.V. (KUG) stattfand.

Ein europäischer "Grenzgänger"

Der Blick auf die Biographie Cohn-Bendits zeigt: Kaum ein anderer Politiker verkörpert die europäische Integration als Überwindung nationalstaatlichen Denkens so wie er. Als Kind jüdischer Emigranten 1945 in Frankreich geboren, 1968 als "Dany le Rouge" zum Wortführer der französischen Studentenproteste avanciert und in Frankreich zur Persona non grata erklärt, macht er in den 1980er Jahren in Deutschland politisch Karriere.

In den 90ern verschreibt Cohn-Bendit sich ganz der Europapolitik, kandidiert 1994 erfolgreich für das Europäische Parlament und ist dort seit 2002 Ko-Vorsitzender der Fraktion Die Grünen/Europäische Freie Allianz. Abwechselnd tritt er für die deutschen und die französischen Grünen an – "wahre interkulturelle Praxis", wie ZAK-Direktorin Caroline Robertson-von Trotha in ihrer Begrüßung anmerkte.

"Raus aus dem nationalen Raum, rein in die globalisierte Welt"

Unterhaltsam, reich an historischer Kenntnis und Anekdoten skizzierte der Europapolitiker die Geschichte des Kontinents vom Kriegsende über den Élysée-Vertrag bis zur deutschen Einheit – angesichts der kriegerischen Vergangenheit eine Erfolgsgeschichte, wie er betont: "Bei allen Problemen ist es eine unglaubliche zivilisatorische Leistung, was da in 50 Jahren entstanden ist."

Die europäische Gegenwart indes, von Finanz- und Schuldenkrise geplagt und durch die Globalisierung herausgefordert, bereitet Cohn-Bendit Sorgen: "In 30 Jahren gehört kein Staat der EU mehr zur G8", so seine Prognose. Die europäischen Staaten, da ist er sich sicher, werden diese Herausforderungen nicht meistern können, wenn es ihnen nicht gelänge, die Nationalstaatlichkeit endgültig zu überwinden und in die "Vereinigten Staaten von Europa" zu überführen.

Der deutsch-französische Motor stockt

Umso fataler sei es, wenn die deutsch-europäische Partnerschaft – der Begriff "Freundschaft" geht selbst ihm zu weit – als "Motor" der europäischen Integration stocke. Die Verfasstheit dieser Partnerschaft sei heute das Kernproblem Europas: "Unproduktiv" sei sie geworden. Das zeige sich auch daran, dass die beiden einstigen Erbfeinde die "unsinnige" Zypern-Rettung nicht verhindert hätten.

Anlass zum Fatalismus ist das für Daniel Cohn-Bendit nicht. Europa stehe "vor einem Quantensprung. Aber historische Quantensprünge in der Politik brauchen einfach länger."


del, 20.03.2013